Lesestoff: Die neuen Carrie Bradshaws
Gegen die Autobiographien der neuen Generation von New Yorkerinnen wirkt Carrie Bradshaw nonnenhaft. Cat Marnell und Mandy Stadtmiller machen es vor.
Preview: Gleich zwei der hier vorgestellten Bücher sind Autobiographien ehemaliger Redakteurinnen (Glamour, Vogue), die sich nach auskurierten Daddy Issues und ge-rehab-ten Koksnäschen diese mit Book Deals vergolden lassen.
Selten scheint sich etwas so gut aus dem weiblichen Lebensbereich zu verkaufen, wie Frauen mit prestigeträchtigem New York Lifestyle. Ist er aus Manhattan, ist der Bestseller fast schon garantiert.
Serien wie Plum Sykes „Bergdorf Blondes“, Cecily von Ziegesars „Gossip Girl“ oder Candace Bushnells „Sex and the City“ liefern die Beweise dazu. Letztere wurden sogar zum Quotenhit.
Manhattan, das Auenland für Lifestyle-Junkies, liefert als Nährboden für illustre Existenzen Literaturmaterial für Dekaden.
Im Falle der Autobiographien von Cat Marnell und Mandy Stadtmiller sind sie von der derzeitigen Warte aus geläutert und legen eine Lebensbeichte ab. Alles sehr katholisch. Genau das, was den im Herzen puritanischen Amerikaner:innen gefällt. (Besonders wenn man die Absolution von Oberpriesterin Oprah Winfrey erhält.)
Die White Anglosaxion Protestants (WASPs) Schicht der USA liefern dabei die Beichten ihrer Wohlstandsverwahrlosungen ab und schreiben nicht selten Bestseller. Marathons durch diverse Sex-Podcasts inklusive.
Einen klassiker der Weltliteratur liefert keine geringere als Sylvia Plath, die 1963 ihre Protagonistin Esther Greenwood in „The Bell Jar“ als Praktikantin eines Modemagazins losschickte. Diese verlor sich postwendend in den Irrungen und Wirrungen der Großstadt. Am Ende steht der Suizid. Damit schrieb Plath bereits in jungen Jahren ihre eigene Biographie und die Realität holte die Fiktion schließlich ein. Plaths eigener Selbstmord folgte kurz nach der Veröffentlichung des Romans.
Dieser gilt als Messlatte, welche die folgenden Bücher nicht erreichen, trotzdem verblüfft die Ähnlichkeit der Lebensbeichten, die sich in den folgenden Geschichten widerspiegeln.
#1 Cat Marnell: How to Murder Your Life
„Cat Marnell: How to Murder Your Life“ beschreibt Marnells Leben, von ihrer privilegierten Erziehung in Pennsylvania bis hin zu ihrer Karriere als Beauty-Redakteurin bei bekannten Magazinen wie Lucky und xoJane, sowie ihren Kampf mit der Abhängigkeit von verschreibungspflichtigen Medikamenten und anderen Substanzen.
In diesem Buch berichtet Marnell über psychischen Erkrankungen sowie über die Auswirkungen, die diese Probleme auf ihr privates und berufliches Leben hatten. Es rollt einem fast schon die Fußnägel auf, wenn sie Situationen vergegenwärtigt, in denen ihr Alkohol- bzw. Drogenmissbrauch sie in die Bredouille brachte.
Dass Marnell jene Personen, die bei Jobs und diversen „Abenteuern“ begegneten nicht mit Pseudonymen „umbenannte“, macht die Sache umso interessanter – und schickt einen ganz schön oft in das internet-sche Rabbithole.
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#2 Ottessa Moshfegh: My Year of Rest and Relaxation
Ein Roman, der sich nur ums schlafen dreht, kann kein besonders interessanter sein? Oh doch!
Die namenlose Protagonistin ist Mitte bis Ende Zwanzig (so genau erfährt man das nicht), hat an der Columbia studiert und nagt zwar nicht am materiellen, aber am emotionalen Hungertuch. Nachdem ihre Eltern gestorben und deren Immobilien veräußert sind, beschließt sie nur noch schlafen zu wollen. Ein Jahr lang. In Rückblenden durchlebt sie dabei die Kindheit in ihrer dysfunktionalen Familie. Ihre Mutter, die sich mit Alkohol das Vorstadtleben schöntrank und ihren Vater, der die Emotionalität eines Eisbergs an den Tag legte.
Es ist schon eine gehörige Portion Wohlstandsverwahrlosung, die Mosfegh ihren Leser:innen da auftischt, doch man schaufelt diese in Windeseile hinunter. Und das aus mehreren Gründen:
- Wer keinen schwarzen Humor versteht, wird sich mit diesem Buch schwer tun. All anderen, werden den beißenden Sarkasmus lieben, der mit einem Unterton eines scharfen sozialen Kommentars und unkonventionellen Erzählstils daherkommt.
- Die beiden „Nebendarstellerinnen“: Alleine ist Mosfeghs Schlafsüchtige nicht. Da wären zum einen eine schrullige Psychiaterin, die auch aus einem Woody Allen Film stammen könnte, sowie die einzige Freundin, die sich nicht durch grausame Aussagen in den Wind schlagen lässt.
Moshfegh lässt die Handlung kurz vor dem 11. September im Jahr 2000 spielen. Zu einer Zeit, als „Sex and the City“ gerade seine größten Erfolge einfuhr. Die namenlose Schlafsüchtige, die ihren prestigeträchtigen Galerie-Job kündigt, nicht datet und nicht den Traummann sucht, wirkt wie ein gewisse Anti-Carrie.
Dieses Buch knüpft auch an das Debüt von Ottessa Moshfegh aus dem Jahr 2015 an. Damals wurde sie sogar Finalistin beim Man Booker Preis. In „Eileen“ träumt eine unglückliche Frau Mitte 20 davon, aus X-ville zu entkommen und nach New York zu ziehen. Wie es dazu kommt, ist einer Verschwörung, die jedem Film Noir zur Handlung gerecht werden würde.
Buch: Englisch, Deutsch
#3 Mandy Stadtmiller: Unwifeable
„Unwifeable“, eine weitere Autobiographie, die von Cat Marnells geschrieben wurde. Als ehemalige Arbeitskollegin Mandy Stadtmiller, die mit ihr zusammen bei xoJane arbeitete. Ebenfalls 2018 veröffentlicht, beschreibt ihr Buch die Erfahrungen der Autorin mit Beziehungen, Dating und ihrer gescheiterten Ehe. Natürlich in New York City. Ihre Kämpfe mit Alkoholismus und psychischen Problemen inklusive.
Dass sie als Autorin einer Kolumne für die New York Post wöchentlich Challenges abliefern muss, die ihr Suchtverhalten befeuern, sei nebenbei erwähnt.
Buch: Englisch
Humor scheint in den Phasen ihrer Selbsterniedrigungn ihr Lebenselixier zu sein, den sie als Bewältigungsmechanismus für alle Probleme einsetzt. Wie die anderen Romanheldinnen, ist die Beziehung zu ihren Eltern alles andere als einfach. Dazu kommen turbulenten „Beziehungen“ zu verschiedenen Männern, eine schmerzhafte Scheidung sowie ihre Kämpfe mit Sucht und Angstzuständen.
Keine Sorge. Es geht gut aus. Jedenfalls der Autorin nach.
Eine literarische Homestory lieferte übrigens 2013 der „Observer“ ab. Lesenswert.
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