Warum AI News-Portale wie EntreNous killt

Es gibt diese brutale Wahrheit, die niemand gerne ausspricht: Das Netz frisst seine eigenen Kinder. Zuerst waren es die Foren, die Blogs, dann die Printmedien. Heute sind es die News-Portale und Publisher, die um ihr Überleben kämpfen.
Und diesmal heißt der Feind nicht mehr nur Social Media oder Google. Diesmal heißt er künstliche Intelligenz. ChatGPT, Claude, Gemini – Namen wie aus einem Science-Fiction-Roman, die aber längst zu den mächtigsten Gatekeepern unserer Zeit geworden sind. Sie nehmen uns Leser:innen weg, bevor sie überhaupt auf unsere Seiten klicken konnten.
Doch der Reihe nach.
Die erste Welle: Social Media saugt uns aus
Bevor wir über die KI sprechen, müssen wir die Vorgeschichte erzählen. Und die beginnt mit Facebook.
In den frühen 2010er Jahren entdeckten News-Portale Social Media als Traffic-Goldgrube. Ein clever gesetzter Post, ein paar schlaue Überschriften, und die Besucherströme flossen in unsere Richtung. Studien von Parse.ly zeigten, dass Facebook in manchen Jahren sogar mehr Klicks auf Nachrichtenportale schickte als Google. Ein wahnsinniger Hebel. Für viele Redaktionen bedeutete das: Reichweite, Wachstum, Werbegelder.
Doch wie so oft war der Rausch nur von kurzer Dauer. Ab 2017 änderte Facebook seinen Algorithmus radikal. Externe Links? Unwichtig. Interne Inhalte, Videos, Engagement? Das neue Gold. Und plötzlich riss die Pipeline ab.
Die Zahlen sind eindeutig: Laut Chartbeat generieren Suchmaschinen heute etwa 50 Prozent des Referral-Traffics, während Social Media nur noch kümmerliche 10 bis 12 Prozent liefert. Eine Zahl, die für sich spricht – vor allem, wenn man bedenkt, dass Social Media vor nicht allzu langer Zeit noch unser größter Verbündeter war.
Der Reuters Digital News Report von 2023 zeigt die gleiche Tendenz: Social Media wird zwar immer noch genutzt, um Nachrichten zu entdecken, aber die Nutzer:innen bleiben in den Plattformen selbst hängen. TikTok, Instagram Reels, Facebook Videos – sie sind wie riesige Datenstaubsauger, die Aufmerksamkeit fressen, aber kaum noch Klicks zu externen Seiten durchlassen.
Kurz gesagt: Social Media hat uns abhängig gemacht, um uns dann fallen zu lassen. Denn Content Creators müssen nach den Algorithmen tanzen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wer im Dauerlächel-Tango nicht mitmacht, der geht unter.
Sogar eigene Webshops von kleinen Brands sind in Gefahr. Erst kürzlich habe ich mich mit einer Wiener Designerin unterhalten, die früher durch Werbung auf Instagram viel mehr Bestellungen erhielt. Heute? Fast nichts mehr. Menschen wollen immer mehr im Biotop ihres Scrolling-Flusses bleiben. Dopamin hat hier den größten Anteil, da man den beständigen Datenfluss nicht mehr verlassen möchte.
Der einarmige Bandit, den wir die ganze Zeit mit uns rumschleppen, hat uns voll im Griff.
Die zweite Welle: Willkommen in der KI-Ära – dem Ende von „uns“?
Während wir noch damit beschäftigt waren, Facebook hinterherzutrauern und Google mit SEO zu bespielen, kam die nächste Welle. Sie heißt künstliche Intelligenz.
KI-Systeme wie ChatGPT haben den Informationszugriff komplett neu definiert. Sie sind keine Suchmaschinen im klassischen Sinne, sondern Antwortmaschinen. Anstatt zehn Links aufzulisten, liefern sie sofort die perfekte, maßgeschneiderte Antwort. Und genau hier liegt das Problem: Die Nutzer:innen klicken nicht mehr. Sie bleiben im Chatfenster, holen sich die Infos und das war es.
Das nennt man das „Zero-Click-Phänomen“. Google kennt das schon länger – mit seinen „Featured Snippets“ und „Knowledge Panels“. Aber ChatGPT treibt es auf die Spitze. Es macht den Klick überflüssig.
ChatGPT: der stille Killer
Schauen wir uns die Zahlen an.
Laut einer Auswertung von Profound ist der Referral-Traffic von ChatGPT zu Webseiten um 52 Prozent innerhalb nur eines Monats eingebrochen. Das bedeutet: Selbst die wenigen Klicks, die es am Anfang gab, schrumpfen dramatisch.
Eine weitere Analyse von Siege Media (Juli 2025) über mehrere hundert Websites zeigt: ChatGPT-Referral-Traffic ist volatil, schwankt stark – aber im Vergleich zu Google-Suche verschwindend gering. Während organische Suchtreffer hunderttausendfach Traffic liefern, sind die Klicks aus ChatGPT oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Quelle: Siege Media
Besonders hart trifft es Nachrichtenseiten. Eine Untersuchung, zitiert bei TechCrunch, zeigt: Zwar wachsen die Verweise von ChatGPT auf News-Portale ein wenig, aber sie reichen bei weitem nicht aus, um die Verluste durch sinkenden Google-Traffic oder das Zero-Click-Verhalten auszugleichen.
Quelle: TechCrunch.
Das ist der Killer-Effekt: ChatGPT nimmt nicht nur Klicks weg, sondern verändert die Nutzergewohnheiten. Wer eine Frage hat, schreibt sie in ein Chatfenster – und geht nie wieder zurück zu den ursprünglichen Publishern.
Sollen wir überhaupt noch unsere Websites optimieren?
SEO war lange die heilige Kuh der Digitalbranche. Keywords, Backlinks, Content-Marketing – eine ganze Industrie lebt davon. Aber in der KI-Ära wirkt SEO fast schon wie ein Relikt. Warum sollten wir noch Inhalte für Google optimieren, wenn die Antworten sowieso in ChatGPT oder Gemini landen – und dort neu verpackt werden?
Die Antwort ist unbequem: Ja, wir sollten unsere Seiten immer noch optimieren. Aber nicht mehr in der Hoffnung, dass uns Google oder Facebook retten. Sondern um auffindbar für Maschinen zu sein. KI-Modelle saugen Inhalte auf, um sie später wiederzugeben. Je klarer, vertrauenswürdiger und strukturierter unsere Inhalte sind, desto höher ist die Chance, dass sie in den Antworten zitiert oder verlinkt werden.
Das bedeutet: SEO verschiebt sich vom Menschen zum Bot. Von der Suchmaschine zur Trainingsdatenbank. Und das ist ein Problem für alle, die von ihrem Traffic und ihrer Relevanz in Visitor-Zahlen leben.
Dass nicht nur ich das so einschätze, sondern auch andere, wurde mir klar, nachdem ich darüber einmal recherchiert habe:
- The Atlantic: The End of Publishing as We Know it
- Futurism.com: Google’s AI Is Actively Destroying the News Media
- Aargauer Zeitung: Google zerstört sein eigenes Geschäftsmodell: Niemand klickt mehr auf Webseiten
Zukunft: Überleben im Schatten der Maschinen
Die Zukunft der Publisher und Website-Betreiber hängt von einer radikalen Neupositionierung ab. Wir müssen akzeptieren, dass KI nicht weggeht. Sie wird nur besser, schneller, unvermeidbarer.
Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir Mehrwert bieten, den eine KI nicht einfach substituieren kann?
Das könnten exklusive Inhalte sein, die nicht im Training landen (z. B. durch Paywalls). Es könnten Live-Formate sein, Veranstaltungen, Podcasts, Communities – Dinge, die sich nicht so einfach zusammenfassen lassen. Oder spezialisierte Nischeninhalte, bei denen Expertise und Aktualität wichtiger sind als generisches Wissen und wo Menschen immer noch froh sind, andere Menschen am Ende des Screens zu sehen und ihre Emotionalität zu teilen. (So lange wir noch erkennen können, ob es sich um echte Menschen auch wirklich handelt, … Aber das ist eine andere Geschichte.)
Auch Kooperationen mit KI-Plattformen könnten ein Weg sein. OpenAI hat bereits begonnen, bestimmte Medienpartner direkt zu lizenzieren. Wer in diesen Deals landet, hat zumindest eine Chance, über Revenue-Sharing-Modelle etwas zurückzubekommen. Für alle anderen bleibt nur: smarter werden als die Maschinen.
Aber wie?
Alternativen: Und jetzt?
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf mögliche Rettungsboote.
- Diversifizierung der Kanäle: Wer sich allein auf SEO oder Social Media verlässt, ist verloren. Newsletter, Podcasts, Messenger-Formate können unabhängiger Traffic liefern. Es ist der persönliche Kontakt und der persönliche Brand, die einen nur noch retten können. Das klingt dramatisch, aber die gegenwärtige Aussichten
- Eigene Community aufbauen: Wer direkte Beziehungen zu seiner Audience pflegt, ist weniger abhängig von Gatekeepern. Das klassische Modell: Mitgliedschaften, Abos, Paid Content. Doch das ist – wenn es alle machen – auch wieder schwer, da man dann ein Fisch in einem riesengroßen Ozean voller Fische ist, die genau der gleichen Beute nachjagen.
- Plattformunabhängige Produkte: Bücher, Kurse, Events, Merch. Dinge, die nicht von einem Algorithmus ausgespielt werden müssen. Warum fällt mir hier bloß immer Michi Buchinger ein? (Lol)
Fazit: Wir brauchen neue Content-Formate: KI ist gut im Text, mittel im Bild, schwach im Erleben. Alles, was emotional, überraschend, menschlich ist, bleibt unsere Domäne. Denn – und das hoffe ich – Menschen wollen Menschen sehen.
Wir erleben gerade den vielleicht brutalsten Umbruch seit Erfindung des Internets. Social Media hat uns erst groß gemacht und dann im Stich gelassen. Google hat uns abhängig gemacht. Und jetzt kommt KI, die nicht nur unsere Klicks, sondern unsere Existenz infrage stellt.
Die nackten Zahlen lügen nicht:
- Social Media bringt nur noch 10–12 % Referral-Traffic (Chartbeat).
- ChatGPT-Referrals sind um 52 % eingebrochen (Profound).
- News-Seiten verlieren mehr als sie gewinnen (TechCrunch).
Das ist keine Delle in unserem Mediensystem, das ist ein Paradigmenwechsel wie einst die Verbreitung des Internets.
Aber vielleicht steckt genau darin auch die Chance. Wir müssen uns fragen: Wollen wir immer nur Zulieferer für Plattformen sein? Oder bauen wir endlich Modelle, die unabhängig sind?
Die KI wird uns nicht töten. Aber sie zwingt uns, uns neu zu erfinden. Wer das nicht schafft, wird vom Strom der Antworten einfach weggespült.
Was retten könnte
Lizenz-Deals & Revenue Sharing
OpenAI hat bereits angefangen, Inhalte von Verlagen und Portalen offiziell zu lizenzieren (z. B. mit der Associated Press oder der Financial Times). Solche Deals könnten sich ausweiten. Das bedeutet: Publisher werden nicht mehr nur „ausgesaugt“, sondern können am Wert, den ihre Inhalte erzeugen, beteiligt werden.
Das heißt, jedes Mal, wenn der Inhalt einer Website, eines Nachrichtenportals, etc. gescreent und deren Inhalte „abgefischt“ werden, um eine Frage eines AI-Users zu beantworten, wird man bezahlt. Doch wie sieht es für kleine, einzelne Betreiber:innen von Websites aus? Die haben nicht die Superpower einer Rechtsabteilung eines großen Verlages …
Abonniere unseren EntreNousLetter und bleibe am neuesten Stand. Verpasse keine Updates über Mode, Kunst, Beauty & Lifestyle!