Situationship: Der schräge Dauerzustand zwischen Fast-Liebe und Vollverwirrung

Eine Situationship ist wie ein Billig-Regal: Sie steht halbwegs, aber niemand weiß, ob sie morgen noch hält oder aus mysteriösen Gründen kollabiert. Einer der Gründe: Das Wort ‘Beziehung’ an- und aussprechen. Doch beginnen sich (einseitig) Gefühle zu entwickeln, kann das bitter enden.
Es beginnt wie eine Netflix-Serie, die du eigentlich gar nicht anschauen wolltest – aber plötzlich bist du bei Folge 7, kennst die Charaktere auswendig und fragst dich: „Was ist das hier eigentlich zwischen uns?“ Spätestens wenn die Verwirrungslampe leuchtet, kann man davon ausgesehen, dass es sich um eine Situationship handelt.
Was soll eine Situationship sein?
Es ist das unklare Terrain zwischen Freundschaft und Beziehung. Ihr kuschelt, aber seid nicht offiziell zusammen. Ihr übernachtet beim anderen, kennt die geheime Schokolade-Lade und habt tiefe Gespräche, aber keine gemeinsamen Pläne, die über die nächsten drei Wochen hinaus gehen. Ihr seid da – aber irgendwie auch nicht. Ein Konstrukt der Gegenwart, geboren aus einer Mischung an Commitment-Phobie, Überangebot und schlecht verarbeiteten Gefühlen.
Das wird besonders anstrengend, wenn der oder die andere mehr möchte. Es passt allerdings zur neuen Dating-Kultur der Gen Z, die Vorbild für das Liebesleben in Zeiten der Digitalisierung ist und mittlerweile auf andere Generationen überschwappt.
Der Segen als Fluch
Ständig und überall neue Menschen kennenlernen und vielleicht unverbindlichen Sex noch am gleichen Tag haben, ist Teil der zwischenmenschlichen Realität für Millionen täglich, die auf der Suche nach Nähe – in welcher Weise auch immer – sind. Die allzeit verfügbare körperliche Intimität hat jene der emotionalen auf Dating Apps in der Regel schon lange den Rang abgelaufen.
Was die Austauschbarkeit der Partner:innen dabei mit sich zieht: bietet Kontakte zu knüpfen, fühlt man sich in der westlichen Welt zusehends einsamer.
Dass man heutzutage Partner:innen wie am Running-Sushi-Fließband “bestellen” kann, hat einen ähnlichen Effekt für das Belohnungszentrum des Gehirns, wie Likes auf Instagram & Co. Wer möchte sich da noch „echte Beziehungsarbeit“ antun? Stattdessen ist es für viele leichter, einfach die ersten Verliebtheitsgefühle auszuleben, um dann abzuschwirren, wenn sich die rosa Wolken verziehen.
War früher „fix z‘sam” das Goal, ist heute schon „exklusiv daten” der erste Schritt, der selbst bei mehrmaligem Treffen nicht selbstverständlich ist und – wem dies wichtig ist – von vornherein klipp und klar kommuniziert werden sollte. Dass dies dann immer noch keine Sicherheit bietet, erklären wir noch später. Der Urinstinkt der DNA-Verteilung ist Diplom-Psychologe Christian Hemschemeier, der sich auf YouTube und in der deutschen Medienlandschaft rund um das Thema Beziehung geladen wird, wird er mit der Kategorie Situationship oft konfrontiert: „Die Vielzahl an Optionen lässt glauben, dass noch jemand Besseres um die Ecke kommen könnte.”
Sind beide mit der Situationship einverstanden, ist dies auch nicht weiter tragisch. Kommt es aber zu einer einseitigen Gefühlsentwicklung kann sich dies für diese Person schmerzhaft entwickeln. Die Crux der Geschichte bleibt wie in jeder anderen Beziehung auch in der Situationship an der Kommunikationsebene hängen.
Kann man offen reden, ist dies ein Schritt in die richtige Richtung. Die Lösung kann dann immer noch meilenweit entfernt sein, denn werden die Gefühle nicht erwidert oder mit „Schauen wir mal” oder „Ich bin noch nicht so weit” beantwortet, ist die Ersatzbank bereits gebastelt und die lauwarme Beziehung wird zu einem Mienenfeld.
Das ständige Schielen auf das Handy, ob eine neue Nachricht da ist, das endlose Interpretieren der letzten Messages oder das Overperforming bei Treffen, um „perfekt” zu erscheinen, übernimmt zusehends.
Was für den anderen die angenehme Option B ist, wenn keine anderen (besseren) Gelegenheiten für die Freizeitplanung bereitstehen, wird für den anderen zum Zentrum des Universums. Die Chancen in eine solche Situation zu gelangen, sind dank Dating Apps noch nie so hoch gewesen. Schließlich weiß man nicht, ob der/die andere nicht doch noch im digitalen Biotop der Möglichkeiten weiterfischt und die Swipe-Funktion mit Bios á la „Alles kann, nichts muss” zum Glühen bringt.
ICH WILL HIER RAUS
Doch wie kann man sich vor den Player:innen schützen und diese enttarnen? Gar nicht so einfach. Denn erst muss man sich beim Online-Dating dem ernüchterndem Faktum stellen, dass Beteiligte in der Welt der unbegrenzten Dating-Möglichkeiten so ziemlich alles erzählen können und – wenn man es mit der Wahrheit nicht ganz so hält – auch ohne Konsequenzen davonkommen. Datete man früher vor allem im familiären Umfeld, Bekannten- und Freundeskreis, brachte ein schlechtes Verhalten eine Person schon mal eine schlechten Nachrede ein. Die daraus folgenden, schlechteren Chancen bei anderen potentiellen Partner:innen bescherte, waren Hindernisse, die es in der digitalen Liebesanbahnung nicht gibt. Damit ist Tür und Tor für jene offen, die sich „einfach mal neu erfinden” wollen. Auf kosten anderer.
Ist es passiert, heißt es nur Reißleine ziehen, Scherben kehren, Kopf hoch und – wenn man sich wieder bereit fühlt und möchte – auf die Suche nach einer Person machen, die es ebenso ernst mit einem nimmt.
4 Tipps, um eine Situationship vorzubeugen
1. Player haben keine Zeit
In der Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, halten sich Player nicht lange mit jemandem auf, der ihnen nicht schnell auf den Leim (und auf Tuchfühlung) geht. Deswegen sind klare Regeln so sexy wie Knoblauch beim Küssen. In den meisten Fällen verziehen sie sich nach dem ersten Nein schon und halten nach der nächsten Ausschau. Ebenfalls im Player-Sortiment: Sie wollen alles stets spontan machen. Dabei können sie testen, was das Gegenüber mit sich machen lässt und wo die Grenzen sind. Wer auf emotionales BDSM steht und es liebt Nummer 393 auf der Prioritäten-Liste zu sein, wird hier glücklich.
2. Die Info-Kiste
Waren alle Ex-Partner:innen verrückt und werden sofort die abenteuerlichsten Geschichten geteilt, kann man die Begegnung höchstens für eine anthropologische Studie verwerten oder um Freund:innen mit einer neue Episode aus dem Dating-Leben zu amüsieren, denn hier geht es nicht um Austausch, sondern darum Seelenmüll auszukippen. Mag das Date auf der anderen Seite über Freundeskreis und/oder Familie (nach mehreren Dates) nicht erzählen, soll ebenfalls keine emotionale Nähe entstehen.
3. Bla-bla und Schmalz
„Ich hab sowas wie dich noch nie erlebt“ oder „Du bist ein guter Mensch, sowas spüre ich”, schon beim ersten Treffen? Das kann nicht gut gehen. Intimität mit Plattitüden aufzubauen, die gut klingen und manipulativ sind, ist Lovebombing oberster Stufe und sollte die innere Alarmanlage zum Bersten bringen. Leider haben uns RomComs und Liebesfilme oft weißgemacht, dass so die größten Lovestorys der Geschichte anfangen. Tun sie höchst (!) selten bis gar nicht.
4. Genieß doch mal!
„Alles kann, nichts muss!” oder „Lass mal schauen, wie es so läuft”, sind die Standardsätze im Repertoire jener, die nichts wollen alias F*ckboys. Man darf sie also ruhig wörtlich nehmen. Dass dabei aber das Gegenüber als indirekt frigide und konservativ dargestellt wird, weil dem „Tinder-Casanova” nicht gleich ins Schlafzimmer gefolgt wird, ist die nächste Stufe. Schwer zu durchleuchten sind allerdings jene, die „Verliebtheit“ über längere Zeit inszenieren können. Auf Taten und nicht Worte achten, ist die einzige Möglichkeit ihnen früh(er) auf die Schliche zu kommen.
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